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Taube Finger beim Musizieren – Was Du über Nerven wissen solltest

  • danielsturmphysio
  • 1. Juni
  • 3 Min. Lesezeit

Taube Finger beim Geige spielen

Taube Finger, Kribbeln oder ein eingeschränktes Feingefühl beim Spielen von Geige, Gitarre oder Klavier sind Symptome, die viele Musiker:innen betreffen. Sie wirken sich nicht nur auf die Technik und Präzision aus, sondern auch auf das Vertrauen in die eigene Spielfähigkeit.


Dieser Beitrag erklärt, wie Einschränkungen in der Nervenmobilität, mechanische Engstellen und Störungen der sensorischen Verarbeitung zu solchen Beschwerden führen können – und welche physiotherapeutischen Ansätze bei der Behandlung sinnvoll sind.


Nerven unter Stress: Warum Finger taub werden können


Taubheitsgefühle oder Missempfindungen in den Fingern entstehen häufig durch eine gestörte Funktion oder Beweglichkeit peripherer Nerven. Diese Nerven verlaufen von der Halswirbelsäule bis in die Fingerspitzen und müssen bei jeder Bewegung frei gleiten können. Mechanischer Stress – etwa durch Druck oder Zug – kann die Nerven reizen oder deren Reizleitung beeinträchtigen.


Häufige Ursachen:

  • Engstellen im Bereich der Halswirbelsäule: Zum Beispiel infolge eines Bandscheibenvorfalls, muskulärer Verspannungen oder knöcherner Veränderungen, die Druck auf Nervenwurzeln ausüben können.

  • Thoracic Outlet Syndrom (TOS): Hierbei entstehen Einengungen im Bereich der Halsmuskulatur, der ersten Rippe oder unter dem kleinen Brustmuskel (Musculus pectoralis minor).

  • Narben oder frühere Verletzungen: Auch strukturelle Veränderungen durch Narbengewebe können den Gleitweg eines Nervs stören und zu chronischer Reizung führen.


Nervenmobilität – Gleitfähigkeit fördern


Nerven müssen sich bei jeder Bewegung im Gewebe verschieben können. Diese sogenannte Neurodynamik ist entscheidend für eine störungsfreie Reizweiterleitung. Ist der Gleitweg an einer oder mehreren Stellen eingeschränkt, kann es zu Kribbeln, Taubheitsgefühlen oder Schmerzen kommen – insbesondere bei Tätigkeiten mit hoher feinmotorischer Anforderung wie dem Musizieren.


Sensorik: Die Rolle der Wahrnehmung in der Therapie


Neben der Beweglichkeit der Nerven spielt auch die sensorische Verarbeitung eine zentrale Rolle. Verschiedene Rezeptoren in der Haut und im Gewebe registrieren Reize wie:

  • feine Berührung

  • Vibration

  • Temperatur (warm/kalt)

  • spitze oder stumpfe Reize

  • tiefer Druck


Diese Informationen werden über spezifische Leitungsbahnen zum Gehirn weitergeleitet:

  • Die Hinterstrangbahn überträgt Berührung, Vibration und Tiefensensibilität.

  • Die Vorderseitenstrangbahn verarbeitet Schmerz- und Temperaturreize.


In der neurologischen Diagnostik dient die Sensorik meist zur Prüfung von Ausfällen oder Überempfindlichkeiten. In der neurozentrierten Physiotherapie wird sie zusätzlich als aktiver Trainingsreiz eingesetzt. Durch gezielte sensorische Stimuli – wie Temperaturwechsel, gezielte Berührung oder Vibration – lässt sich das zentrale Nervensystem wieder besser auf sensorische Informationen einstellen. Dieser Prozess wird als sensorische Integration, eine Art "Kalibrierung", bezeichnet.


Neurozentrierte Physiotherapie: Ein ganzheitlicher Ansatz


Die neurozentrierte Physiotherapie bezieht das Nervensystem aktiv in die Behandlung ein – sowohl in seiner Beweglichkeit als auch in seiner sensorischen Verarbeitung. Dabei wird nicht nur lokal gearbeitet, sondern auch das Zusammenspiel des gesamten Körpers berücksichtigt.


Ein zentraler Bestandteil ist die Analyse und Behandlung von globalen Spannungsmustern, also der Grundspannung der Muskulatur, die Haltung, Stabilität und Bewegungsökonomie beeinflusst. Auffälligkeiten in der Muskelspannung – etwa durch Schutzmechanismen nach Verletzungen oder einseitige Belastung beim Musizieren – können das Nervensystem dauerhaft in erhöhter Alarmbereitschaft halten.


Auch Seitenunterschiede in der Koordination sowie Einflüsse aus dem visuellen und vestibulären System (also dem Gleichgewichtssystem und den Augen) spielen eine wichtige Rolle. Diese Systeme wirken auf die Körperwahrnehmung und Steuerung von Haltung und Bewegung ein – und können über Fehlanpassungen zu chronischen muskulären Spannungen oder koordinativen Problemen beitragen.


Typische therapeutische Maßnahmen in der neurozentrierten Arbeit sind:

  • Nervenmobilisation zur Förderung der Gleitfähigkeit

  • Sensorisches Training zur besseren Integration von Reizen

  • Übungen zur Verbesserung der Koordination

  • Einbeziehung visueller und vestibulärer Reize zur Verbesserung der globalen Spannungsmuster

Ziel ist es, Reizleitungen zu verbessern, Spannungen zu regulieren und die Belastbarkeit bei alltäglichen und beruflichen Aktivitäten – wie dem Musizieren – nachhaltig zu steigern.


Fazit: Sensorik und Nervenmobilität gezielt fördern


Wenn beim Musizieren Taubheitsgefühle, Kribbeln oder Koordinationsprobleme auftreten, kann eine differenzierte Analyse des Nervensystems sinnvoll sein. Nerven benötigen Raum, Beweglichkeit und gezielte Reize, um ihre Funktion optimal erfüllen zu können. Die Kombination aus Nervenmobilisation und sensorischem Training bietet dabei einen wirkungsvollen Ansatz – nicht nur zur Linderung der Symptome, sondern auch zur nachhaltigen Funktionsverbesserung.


Daniel Sturm


Physiotherapeut / Heilpraktiker / Neuroathletik-Trainer

 
 
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